4-dimensionales Nachdenken im Material Körper

Ob KinoSzenen, weltpolitische Ereignisse, Kunstobjekte, Pop-Musik oder Internetphänomene – Alexandra Pirici fängt mit den Körpern ihrer Darsteller*innen verschiedenste Momente ein und setzt sie uns zum Nachdenken vor. Wie leicht sich die derart verfremdeten Referenzen lesen lassen, zeigt, wie leicht man Bedeutung inszenieren und Leseweisen nahelegen kann und wie hilflos ausgeliefert unser kollektives Gedächtnis dieser Manipulation ist.

Delicate Instruments of Engagement von Alexandra Pirici Foto: Dorothea Tuch.

Die Körper bilden das Fundament von Delicate Instruments of Engagement. Auf der darstellerischen Ebene werden alle Ereignisse gleichwertig und damit auch gleich fraglich. Wir können quasi in einem Bild stehen oder hinter der Leinwand, synchron einer eindrucksvollen Rede und ihrer peinlichen Kopie lauschen, durch Jahrzehnte schweifen und vom Ballett zu einer Demonstration wandern. Dank diesem scheinbar wahllosen Nebeneinander von Popkultur, Bürgerrechtsbewegung und Kommerz muss man sich fragen, wie und weshalb einzelne Momente zu Ikonen eines Menschheits- oder Gesellschaftszustands werden.

Foto: Dorothea Tuch.

Zeit ist ein zentrales Element dieser Arbeit. Bringen Sie viel Geduld mit und bleiben Sie mindestens eine Stunde, besser zwei oder drei oder gleich die ganzen vier. Jeder wird einzelne Referenzen kennen und viele davon nicht. Doch das spielt keine Rolle, denn durch die Fülle der Momente und die immer gleiche Darstellung der einzelnen Situationen, treten im Verlauf der Zeit immer neue Fragen auf. Und dieser Zustand des Suchens nach den Fragen wird im Lauf der Zeit zu einer fast meditativen Erfahrung.

Warum eigentlich genau diese Wortwahl zu diesem Anlass? Warum diese exakte Fingerhaltung? Was sollte mit jener Pose damals eigentlich zum Ausdruck kommen? Oder verborgen bleiben? Wie ändert sich die Bedeutung einer Aussage, wenn eine weibliche Darstellerin die Worte eines Mannes spricht oder umgekehrt? Was ist an dieser Pose eigentlich so wahnsinnig lustig, dass Millionen von Menschen sie im Internet teilen? Wie entstehen überhaupt Kult, Trash oder Trends?

Foto: Dorothea Tuch.

Wiederholung ist ein anderes tragendes Element dieser Dauerperformance. Doch anders als in den Medien, funktioniert sie hier nicht als Schleife, die sich uns einbrennen soll, sondern als Mittel der Dekonstruktion. Medial vermittelt bleiben historische Bilder immer gleich. Unser Wissen über die Vergangenheit aus der Gegenwart heraus, das mag sich ändern. Die Deutungshoheit der Bilder selbst und ihr Wahrheitsanspruch kann durch Reproduktion nur schwerlich durchbrochen werden.

Foto: Dorothea Tuch.

Pirici jedoch unterwandert gekonnt diese Autorität der Bilder und zugleich unsere zeitgenössische Wahrnehmungserfahrung, mit immer neuen Reizen bombardiert zu werden. In Delicate Instruments of Engagement werden dieselben Szenen in wechselnder Reihenfolge dargestellt. Wer jetzt geht, weil er meint, hier schließe sich der Kreis und er habe alles schon gesehen, der verpasst, welche Möglichkeit diese Art der Wiederholung ohne Original bietet: sie erlaubt es uns, das Geschehene immer wieder aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und die Inszenierung des Materials Mensch neu zu reflektieren und in Frage zu stellen.

Egal, wie oft Sie Picassos Meisterwerk Guernica schon gesehen und was Sie darüber gelesen haben – Sie haben es noch nie so gesehen. In 4D und ganz ohne Virtual-Reality-Klimbim. Und Sie bekommen einen Einblick davon, was Colin Powell wohl auf dem zweidimensionalen Bild sah, bevor er es für seine Rede zum Einmarsch in den Irak im Saal der UNO verhängen ließ.

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Alexandra Pirici – Delicate Instruments of Engagement
HAU Hebbel am Ufer 1
Englisch (Sprache kein Problem)
Dauer: 4 Stunden (Ein- und Auslass jederzeit möglich)
Fr 06.10.2017, 17:00-21:00 / HAU1
Sa 07.10.2017, 17:00-21:00 / HAU1

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