Frühlingserwachen mit Herbstmelancholie – Wie Phoenix aus der Asche

Für alle, die auf ein Nachfolgealbum ganz im Stil von Lovebites gehofft hatten, wird die neue Platte möglicherweise eine Herausforderung, denn sie ist anders. Aber mit dem Thema Herausforderung steckt man auch schon mitten in der Vorgeschichte von Under the No Sky, einer Wiedergeburt in 11 Kapiteln sozusagen.

Drei Jahre sind seit dem letzten Album vergangen und dem SUPER700-Vogel wurden auf Reisen durch die Welt sowie die Schattenseiten des Lebens gewaltig die Federn gerupft und nach dem Inferno erstrahlt er nun in neuem Gewand. Aus dem Pfau, der mit seinem außergewöhnlichen Kostüm auf den ersten Blick alle Aufmerksamkeit fängt, ist dabei ein tiefsinnigeres, ruhiges und ernsthaftes Fabelwesen geworden. Man sollte aufmerksam lauschen, will man ihm seine Geschichte in voller Entfaltung entlocken, denn vielleicht sind SUPER700 nun etwas weniger exzentrisch, dafür aber nach wie vor: erfrischend vielfältig und mit schöner, unverwechselbarer Handschrift begabt.

Von den ursprünglichen sieben Bandmitgliedern sind nur drei geblieben: IBADET RAMADANI, MICHAEL HAVES und SEBASTIAN SCHMIDT – neu hinzugekommen  an der Gitarre ist JAN TERSTEGEN. Under The No Sky klingt beim ersten Reinhören auffällig schlicht, im Vergleich zur Opulenz vorhergehender Alben; allerdings nicht unausgefüllt, sondern absichtsvoll reduziert. Das kündigt sich schon im ersten Song „21st Century Girl“ an, wenn ein puristisch schleppendes Schlagzeug und Gitarrenriff begleitet von dunklen Vocals zunehmende Spannung aufbauen und die verzerrte E-Gitarre immer wieder kurz aufkreischt, aber nur, um den Ausbruch anzutäuschen, der letztlich verwehrt wird.

Diese betonte Zurückhaltung wird sich wie ein roter Faden durchs Album ziehen. Die Songs verschreiben sich sehr kompakten Strukturen und konzentrieren sich auf das Wesentliche: eingängige Melodien, harmonische Riffs, nur drei Stücke überschreiten die 4-Minuten-Grenze, und außer Strophe und Refrain wird es oft keine Abzweigungen auf dieser Reise geben. Under The No Sky wurzelt in einfachen Melodien und Textzeilen, stellt sie selbstbewusst in den Mittelpunkt und baut dann bedacht darum herum ein dezentes Klangnest. Hieß es früher noch „Self-Control is not my friend“ scheint es nun, als ob vielleicht gerade diese Herausforderung ein Stückchen weit gemeistert wurde. Die extrovertierte Power ist einer besinnlichen Melancholie gewichen.

Die nächsten Songs, ‚Live Your Life With Grace‘, die erste Sinlge „Decent Snow“ und „One of a Kind“ wirken nach den ersten Akkorden zunächst wie naiv fröhliche Popsongs, aber dieser Eindruck wird nicht zuletzt durch die düster-schmerzhaften Texte von IBADET schnell widerlegt und fast zynisch verzerrt („Dreams dying in segregation“, „I invite you all to eat my soul“, „Where does all this hate come from“). Es ist eine selbstbewusst-gelassene Resignation, die sich durch die Zeilen und Gesangsmelodien trägt – nicht ohne Lebenslust und -kraft, aber wohl der Illusionen beraubt. Das Gefühl eines leichten, melancholischen Gleitflugs rührt auch von geschickt eingesetzten Slide-Gitarren-Effekten, Echo und Hall her.

Man merkt beim wiederholten Durchlauf der Platte, dass scheinbar so simple Stücke wie „Under the No Sky“ und „When the Evening Comes“ äußerst durchdacht arrangiert sind. Was nicht in der Grundstruktur zu finden ist, hat sich sozusagen auf die Neben- und Obertöne gelegt; da kommen von links und rechts mal eine Akustikgitarre, mal ein E-Gitarren-Lick, ein kleiner Chor, eine Klavierfigur, verschiedene Percussion oder Streicher hinzu. So füllen SUPER700 in kürzester Zeit doch noch den gesamten Klangraum, bis die Band eben, quasi auf dem Höhenflug, plötzlich wieder abbremst, einhält und zur Landung ansetzt. Das Schlagzeugspiel von SEBASTIAN beweist sich auf diesem Album in seiner äußersten Präzision, Sauberkeit und filigranen Form, denn seine feinsinnig treibenden, oft abgehackten Beats halten und tragen die notwendige Spannung, damit diese Songs so funktionieren können und nicht in ihre Einzelteile zerfallen. Ein Kompliment gebührt an dieser Stelle auch der komplett eigenhändigen Aufnahme und Produktion des Albums.

„Old Moon“ wiegt uns Zuhörer dann nochmal in einer scheinbar heilen Welt, die fast Motive eines Kinderwiegenliedes aufgreift – aber das war nur ein Trick. Mit dem achten Stück werden nämlich auch Liebhaber der rauheren und krachenden Riffs verwöhnt, und man freut sich doch ein bisschen, dass die wilde und animalische Seite von SUPER700 sich endlich austoben darf. Denn ‚Dear Wolf‘ kratzt und knurrt und faucht mit verzerrten Vocals und brachialen Beats, macht sich ungebremst auf in den emotionalen Sturzflug des Albums – ein großartig-melodiöser Song voller Kraft und tobender Energie („Dear Wolf can you kill them all for me“), der beweist, dass die Band auch ungezähmt nach wie vor noch mitzureißen vermag und auf Under the No Sky alles ganz bewusst eine sanftere Dynamik wahrt.

Mit „Make Rain“ kommt nach dem Wolf ein weiteres bekanntes Klangbild der Vergangenheit wieder und die Drums zaubern die fallenden Regentropfen beeindruckend lautmalerisch auf die Cymbals. Gefolgt von tief-traurigen Streichern und einem knochigen Tango-Rhythmus lauscht man da in der Vorstellung einem einsamen, kathartischen Balance-Akt irgendwo draußen im nächtlichen Regen. „My Bones“, das düsterste und traurigste Stück des Albums, verschlingt den Hörer mit einer herrlich dunkel-hypnotischen Basslinie von Multi-Instrumentalist MICHAEL und fast gebrochenem Gesang („And on the walls I see my skull“). Doch das musikalische Geschöpf rappelt sich wieder auf und zu guter Letzt gibt es mit ‚Queen of Inbetween‘ noch einen neuen Kindersong-Klassiker; ein kleiner Liebesbeweis an ein neues Familienmitglied im Umkreis der Band. Und mit der Neugeburt steht am Ende dieser Fabel auch ein Hoffnungsschimmer.

Fazit: SUPER700 haben sich mit Mut zur Veränderung, Besinnung auf das Wesentliche und ruhigen Flügelschlägen aus der Krise in eine neue hoffnungsvolle Zukunft aufgemacht. Das Songarrangement auf der Platte gibt zu erkennen, dass sie sich dabei durchaus nicht scheuen, ihre Hörerschaft mit Under The No Sky auf die Probe zu stellen. Wer nämlich zu Beginn tragisch-explosive Songs wie „Tango“, „Selfcontrol“ oder „S.T.T.S.M.C.“ erwartet, wird etwas enttäuscht sein. Und wer nur nebenbei kurz durch die Platte hört, vielleicht auch ein bisschen – weil einem dann die tieferliegende Schönheit entgeht. Die einzigen Stücke, die entfernt noch an Altes erinnern verstecken sich ganz hinten und ansonsten ist nichts gleich geblieben, auch wenn dann doch alles unverkennbar noch nach SUPER700 klingt. Man sollte diesem Album mehrere Durchläufe und Zeit geben, wenn man zum Kern vordringen möchte. Denn wie bei einer guten Geschichte muss man sich manchmal auch bewusst mit den einzelnen Bausteinen auseinandersetzen, um die Vielschichtigkeit der Komposition zu entdecken und die Feinheiten genießen zu können. Wer sich darauf einlässt, wird mit der Neu-oder-Wiederentdeckung der Band belohnt werden.

Dem Mythos zur Folge erreichte der Phoenix ein Lebensalter von bis zu 500 Jahren – SUPER700 geben sich  im Interview (in Kürze auf popmonitor.de) bescheiden damit zufrieden, noch mit 80 durch die Welt fliegen und ihre Musik unter dem Nicht-Himmel zwitschern zu wollen. Wohlan, Vöglein, wir hoffen, Deine Schwingen sind nicht aus Wachs und Du mögest weitersteigen, so hoch Du kannst.

Das Interview mit Ibadet Ramadani könnt ihr hier nachlesen.

(Diese Rezension erschien zuerst auf Popmonitor.berlin.)

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SUPER700 live am 18.05.2012 im Lido

SUPER700
Under The No Sky
(Motor Music/Sony)
VÖ: 06.04.2012

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