Female Gaze
Es sollte das Panel zur Eröffnung des Festivals „Männlich, Weiß, Hetero“ im HAU werden: fe_male gaze. Blicke auf Männlichkeit. Zumindest erhob Moderatorin Stefanie Lohaus, Chefin vom Missy Magazine, diesen Anspruch in ihrer Begrüßung. Sie hatte drei Gäste geladen um mit ihnen anhand von Filmausschnitten die unsichtbaren Privilegien und die Welt des weißen, heterosexuellen Mannes sichtbar zu machen. Über das Konstrukt Männlichkeit wurde aber so gut wie nichts gesagt.
In ihrer gelungenen zehnminütigen Einleitung schaffte Lohaus es auch ohne kulturwissenschaftlichen Fachjargon ganz einfach und kurz ein paar zentrale Punkte anzureißen: eine kulturelle Definition von Privilegien, die über gesetzliche Vorrechte hinaus auf den sozialen Status aufmerksam macht; dass Bevorzugungen und Benachteiligung trotz Artikel 1 des Grundgesetzes uns von Geburt an tagtäglich begleiten und unsere Gesellschaft durchziehen; dass Privilegien den InhaberInnen meist nicht bewusst sind; dass wir noch weit von einer Gleichstellung der Geschlechter, Religionsgemeinschaften oder Races entfernt sind; und dass wir Klasse und Nicht-Behinderung viel zu oft übersehen.
Doch als die eigentliche Gesprächsrunde nach einer James Bond-Einspielung beginnen sollte, zeichnete sich ab, dass die Gäste weder aufeinander eingestimmt waren, noch auf die Filmausschnitte, noch auf das Reden über das Thema vor Laienpublikum. Denn so „offensichtlich“ Sexismus, Rassismus und Heteronormativität in den Szenen ja angeblich waren, so wenig konnten die Gäste das dann demonstrieren und etwas mit Substanz beitragen. Oder sie konnten wahrscheinlich nur ihre Ideen überhaupt nicht verständlich rüberbringen. Und da kann man auch keinem weißen, männlichen Heterosexuellen vorwerfen, wenn er nachher so schlau wie vorher aus dem Saal geht.
Einleitung aus dem Festival-Magazin.
Chris Tedjasukmana kann Filme als Filmwissenschaftler wunderbar analysieren und mit feministischen Theorien in Verbindung setzen, aber leider gelingt ihm das nicht in einem Alltagsdeutsch. Eine total akademische Sprache ist bei einem Festival wo es um die Sichtbarmachung von Privilegien geht aber fatal, denn nicht jeder versteht Sätze wie: „Die Ridikulisierung von BDSM … um hierarchische Rollenkategorisierungen … wo der submissive Part … zeigt sich auch die Ökonomisierung des Privaten …“ Es ist auch schlicht ermüdend da zuzuhören. Wie wäre es mit: „Hast du Bondage-Sex im Film genutzt um zu zeigen, dass die Frau trotz Rollentausch letztlich finanziell doch vom Mann abhängig bleibt?“
Tatjana Turanskyj, Filmemacherin um deren Streifen „Top Girl“ es in besagtem Ausschnitt ging, ist leider in einem sehr innerlichen Monolog gefangen. Sie weiß zwar wovon sie redet aber viel scheint noch eher Theorie als alltägliches Begreifen zu sein, denn ihre Sätze klingen wie Ellipsen, zwischen denen sie sich im Kopf noch zwei dazu denkt, diese aber nicht laut sagt. Wenn man feministische, postkoloniale und Critical Whiteness-Theorie gelesen hat, dann weiß man woran sie gerade denkt und wo sie im Text feststeckt. Wenn nicht, viel Glück ihren Gedanken zu folgen!
Einzig Simone Dede Ayivi, Perfomance-Künstlerin, versteht das Thema nicht als abstrakt-intellektuelle Unterhaltung, sondern gibt konkrete Anhaltspunkte worüber wir sprechen müssen, wenn wir über Privilegien sprechen: positive Rollenvorbilder in den Medien werden so gut wie immer von weißen Menschen dargestellt, Schwarzen Menschen bleiben nur niedrige soziale Rollen vorbehalten; Schönheitsideale, Fantasiebilder und männliche Projektionen über Frauen stecken überall; genau wie rassistische Identitätskonstrukte – in Filmen aber auch Sprache, Kultur, Alltag. Und solche Bilder legen dann fest, wie wir durch die Welt gehen und uns selbst und andere wahrnehmen.
Beitrag aus dem Festival-Magazin.
Zum Glück verlor Simone dann einmal kurz etwas die Geduld, nämlich als Fassbinders Angst essen Seele auf quasi als Film mit gelungener anti-rassistischer Message beredet wurde. Da machte sie klar, dass die Darstellung des marokkanischen Gastarbeiters realitätsfern sei, nichts Empowerndes hätte, völlig den weißen männlichen Blick spiegele und trotz guter Absicht Fassbinders nur wieder ein Stereotyp reproduziere. Und als dadurch kurz der Vorhang für eine gute Diskussion gehoben war … naja, da waren alle anderen auf der Bühne eher um Beschwichtigung bemüht und man habe das so nicht gemeint, als ob es hier um ihren eigenen Ruf ginge.
Moderatorin Lohaus leitete dann über zu einer der zentralen Fragen des Festivals, nämlich wie man (vor allem der weiße, heterosexuelle Mann) denn alles richtig machen könne – wenn man doch gar nicht immer alles richtig machen könne!? Und auch da griff Simone ein mit der Forderung nach einem Selbstanspruch, sehr wohl immer alles richtig machen zu wollen. Sich nach gewonnenen Einsichten immer für Fehler zu entschuldigen. Und sich dabei unaufhörlich als Lernende zu begreifen. Denn gleich anzunehmen, man könne sowieso nicht alles richtig machen, käme dann einer Entschuldigung gleich, mit der man schon von vornherein das eigene Bemühen bremse.
Und nach einer Stunde und 20 Minuten war die Chance hier wieder vertan: daran anzuschließen und ein paar grundlegende Dinge über Privilegien klar zu machen. Zum Beispiel, das wir aufhören müssen nur auf die Intention (Absicht) zu schauen, wenn wir über Privilegien reden, sondern auf die Auswirkungen auf Betroffene. Weil Rassismus nicht ein prügelnder Nazi ist, sondern eine Wahrnehmungsstruktur in unserer Köpfen, eine anerzogene strukturierte Blindheit, eine systematische Geschichtsvergessenheit. Und das gilt auch für andere -ismen. Dass die sogenannte Chancengleichheit und die Idee, unsere soziale Stellung wäre unser eigener Verdienst, totale Mythen sind, die jene mit Privilegien glauben lassen, andere seien faul oder doof – statt systematisch benachteiligt.
Cover des Festival-Magazins.
Dass das grundlegende Kennzeichen von privilegiert sein (egal ob weiß, männlich, hetero, reich, EU-Pass etc.) eben die Ignoranz ist, im Sinne des Wortes: Unwissenheit. Undzwar Unwissen oder Missachtung über etwas allen Betroffenen völlig Offensichtliches: in Alltagssituationen von A-Z rund um die Uhr bevorzugt behandelt/benachteiligt durch die Welt zu gehen. Als diese oder jene nicht-weiße, nicht-männliche, nicht-heterosexuelle Kategorie markiert. Dass es nicht um Schuld oder Scham der eigenen Identität geht und der weiße Mann nicht als individuelle Person am Pranger steht. Dass es darum geht, sichtbar zu machen, wo überall mit einem ’normaler Menschen‘, dem ‚universellen Individuum‘ eigentlich ein weißer, männlicher, heterosexueller Mensch gemeint ist. Und, dass Mittel gegen Ignoranz daher Selbstreflektion, Selbstkritik und Bildung heißen.
Stattdessen gab Lohaus eine Anekdote zum Besten, in der sie nach „native Americans“ zu „Indianer quasi“ wechselte. Und dies dann nochmal wiederholte um zu betonen, dass sie das jetzt extra so sage in Anführungszeichen quasi. Wir kommen schnell zur nächsten Filmeinspielung, um zu vertuschen, dass man sich auf eine gemeinsame Diskussion letztlich nicht anständig vorbereitet hatte. Dafür erfuhren wir im Laufe des Abends, dass Chris ein James Bond, Star Trek und Fassbinder-Nerd ist, Simone keinem dieser drei was abgewinnen kann und sich Tatjana auch außerfilmisch gerne mit Sex beschäftigt. Bekenntnisse, dass schon getrunken wurde, man nervös sei und Lust auf Konfrontation hatte, konnten vielleicht selbstironisch zur Unterhaltung beitragen. Der inhaltlichen Auseinandersetzung und dem Ziel der Veranstaltung hat all das aber überhaupt keinen Gefallen getan. Stefanie Lohaus‘ schriftliche Einleitung im Festival-Programm sei einem daher ans Herz gelegt.
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Festival „Männlich, Weiß, Hetero“
21.4.-3.5. im HAU (Hebbel am Ufer), Berlin
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