Kulturelle Identitätsspiele

First things first: AREN EMIRZE alias EMIRSIAN ist vielen bekannt als Sänger der Band HARMFUL. Mit dem vorliegenden Album gibt er sein Debüt als Solokünstler. Und das klingt ganz anders als die Noise-und-Hardcore-Formationen, mit denen er vormals auf der Bühne stand. Dass der in Deutschland diskutierte Musikmarkt recht Mainstream ist, merkt man an Veröffentlichungen wie Accidentally In Between. Es kommt schließlich nicht alle Tage vor, dass ein Musiker sich traut, mit seiner armenischen Muttersprache zu debütieren. Um zwischen Unverständlichkeit und Markttauglichkeit einen Kompromiss zu schließen, wählt EMIRSIAN den Titel seines Doppel-Albums als Programm: während die erste Platte zehn Kompositionen auf Englisch präsentiert (Accidentally), schöpft der zweite Longplayer (In Between) weitere elf Stücke aus armenischen Volksweisen und traditionellen Texten.

Accidentally beginnt recht schön und wartet fast durchgängig mit gelungenen melancholischen Harmonien auf. Die Vocals erinnern an EMIRSIANs musikalische Vergangenheit und GREG DULLI. Die besten Stücke, ‚Bring It Down‘, ‚Straight to the Sun‘ und ‚Care‘ hört man sich sicherlich gerne ein zweites Mal an – die anderen sind schlicht nette Songs für verregnete Nachmittage. Und nett ist bekanntermaßen in allen Lebenslagen eher das Adjektiv eines Verlegenheitslobes. ‚Lost Song‘ ist ein als Country-Versuch getarnter richtiggehender Fauxpas. Der Stil bleibt allgemein zu stur im altbekannten anglo-amerikanischen Singer-Songwriter-Geplänkel verhaftet.

Was die armenische Musik-Hälfte von AREN EMIRZE betrifft, ist man ohne relevante Sprachkenntnisse natürlich erstmal aufgeschmissen. Sowohl beim Hinhören als auch – dank Alphabet – was die Songtexte betrifft. Den Kompromiss schließt man durch Transkription ins lateinische Alphabet und im Booklet unter den Songtexten kurz zusammen gefasste Inhaltsangaben auf Englisch. Schon thematisch wird hier deutlich Tiefgründigeres verhandelt – es geht vornehmlich um die Mutter-Sohn-Beziehung, Identitäten zwischen Soldatentum, Patriotismus und Familienmensch. Stimmlich als auch harmonisch sind die Stärken des Doppel-Albums sicherlich auf dieser Platte zu suchen. Ein ganzes Stück düsterer und melancholischer schwingt hier die Bass-Stimme und die traditionell Molltonarten-lastige Volksmusik der Region gibt das ihre dazu. Der Opener ‚Yar, ko parag boyin mernem‘ bleibt das einprägsamste Stück; bis zum vierten Song ‚Seta‘ hält das ungewohnte Hörerlebnis dank der Fremdheit die Spannung. Doch danach folgen auch hier zu ähnliche Variationen desselben Grundmusters. Vielleicht ist dies wiederum auch der negative Aspekt des Unbekannten – dass man die Feinheiten nicht gleich entdeckt.

Fazit: für Aficionados von Gitarrenballaden und Interessierte musikalischer Ost-Reisen sicherlich ein Hörtip – für Kenner und Fans des Singer-Songwriter-Genre eher ein umgehbarer Zeitvertreib.

(Diese Rezension erschien zuerst auf Popmonitor.berlin.)

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EMIRSIAN
Accidentally In Between
(Hayk Records / Soulfood)
VÖ: 24.06.2011

http://www.emirsian.com
http://www.myspace.com/emirsian
www.soulfood-music.de

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