Im Winterschlaf ein Ruf nach vergangenen Sommern

Vielleicht hat Petrus der Wettergott, nachdem er sich mit einem brutalen Winter sehr unbeliebt macht, dieses Album als kleine Wiedergutmachung geschickt. Zumindest durchbricht das erste Riff des Openers ‚The Hill‘ von JAMES WALBOURNEs gleichnamigen Debüt den vereisten Gehörgang wie ein Sonnenstrahl die Wolkendecke nach einem Schneesturm. Man möchte sofort Jacke und Schal von sich reißen, den Gelbfilter aufsetzen und mit runtergekurbelten Autofenstern über nachmittagssonnentrunkene Landstraßen düsen. Da überrascht es schon ein wenig, dass das so urtümlich amerikanisch anmutende Album aus der Feder eines jungen Briten stammt. Schon Titelnamen wie ‚Road‘, ‚Northern Heights‘, ‚Waiting Room Blues‘, ‚Sailed The Seas‘, ‚Songbird‘ und ‚Cocaine Eyes‘ verraten, dass die Assoziation mit Südstaaten-geprägter Straßenpoesie nicht von ungefähr herrührt.

The Hill durchläuft das gesamte Genre des Bluesgitarren-60ties-Rock’n’rollenden-Country-Folk mit einem allerdings leicht überladenen Mix an Referenzen und Inputs – wohlgemerkt: das alles musikalisch recht gekonnt, aber eben doch ein wenig zu programmatisch. Der Eindruck, der gebürtige Londoner möchte möglichst viel von der Bandbreite seines beherrschten Repertoires präsentieren, verstärkt sich durch den Auftritt entsprechend versierter Gastmusiker in wechselnder Instrumentalbesetzung (Banjo, Akkordeon, Piano, Mundharmonika, Fidel, Orgel, Steel-Guitar etcetc.). Auf The Hill werden dabei aber leider keine neuen musikalischen Pfade begangen. JAMES WALBOURNE gelingt eine persönlich anmutende Mischung aus anspruchsvoller Tradition und sentimentaler Erinnerungsnote, wenn er Erinnerungen an den frühen Dylan-Sound (‚Waiting Room Blues‘), Einflüsse eines Nick Drake (‚BBC‘) oder auch mal Beatles-angehauchte Hooklines (‚Fool‘) anklingen lässt. Das ist durchweg sympathisch und trübt nicht die gute Stimmung, es hebt allerdings auch nicht das sich bereits nach den ersten zwei, drei Nummern einschleichende Gefühl, einem gut einstudierten Programm zu lauschen.

Die schönste (Wieder-) Entdeckung der Platte: es gab mal eine Kultur der Gitarrensoli – bitte wieder mehr davon! Die etwas überschwängliche Beifallskritik von Joe Pernice, welche das Release von The Hill begleitete, stellt den hierzulande noch unbekannten WALBOURNE als Wunderkind dar, von dem man noch hören wird. Doch dass es von dessen ersten Auftritten im zarten Alter von 18 Jahren dann eben doch zehn Jahre dauerte, bis WALBOURNE jetzt seinen ersten eigenen Longplayer veröffentliche, legt nahe, dass man diese Ansicht bedenklos bezweifeln darf. Ohne am musikalischen Talent des Gitaristen und Songwriters zweifeln zu wollen: um im mittlerweile doch unübersichtlich gewordenen Feld des Country-Folk-Ozeans zu überleben, bedarf es dann doch ein bisschen mehr Frische und Eigensinn und (hierin werden sich wohl die Geister am ehesten scheiden) einer ausdrucksstarken Stimme, wenn schon die Lyrics sich der vollkommenen Beiläufigkeit verschreiben. Hätte der gute Mann den Leichtsinn der Jugend doch genutzt, um ordentlich Kette zu rauchen oder sich zumindest den ein oder anderen Whiskey mehr hinter die Binde gekippt. Dann würden Lines wie „Trouble please stay away from me…“ oder „… there’s nobody here that understands me …“ auch nicht nach adoleszent bemüht-rauchigem Larifari-Singsang klingen, sondern von dem altersweisen bluesig-rauhen Lebensschmerz künden, dem JAMES WALBOURNE mit seinem Album huldigen möchte.

Ein solides Debüt, und als kleiner Teaser für den kommenden Frühling kann man sich mit The Hill die ein oder andere bitterkalte Winterstunde vertreiben. Spätestens dann aber, wenn die ersten Knospen des Folkrock zu blühen beginnen, wird möglicherweise auch schon die Erinnerung an WALBOURNE dahin geschmolzen sein.

(Diese Rezension erschien zuerst auf Popmonitor.berlin.)

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JAMES WALBOURNE
The Hill
(Heavenly Recordings / Cooperative Music)
VÖ: 04.02.2011

www.myspace.com/jameswalbourne
www.cooperativemusic.com

 

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