narrativa 2017 – Eine Tagung zum Zustand des Erzählens

Zum ersten Mal fand in diesem Jahr die Tagung narrativa statt – ein neues Format, bei dem Autorinnen, Lektorinnen und literaturagetinnen zusammenkamen, um aktuelle Tendenzen und Entwicklungen des Erzählens zu diskutieren. Das zweitätige Programm am mediacampus Frankfurt bot Vorträge, Pitching-Runden und informelle Formate zum Austausch. Eine gelungene Veranstaltung des Veranstalters textmanufaktur, die sicherlich in den kommenden Jahren mit mehr Erfahrung und geschärftem Profil noch weitere Kreise ziehen wird.

Jörg Thadeusz eröffnet die narrativa 2017. ©Sascha Nau und Petra Mattheis.

Veranstalter der narrativa ist die Autorenschule Textmanufaktur um André Hille, den man in Literaturkreisen als Autoren, Lektoren und Literaturagenten kennt. Zur Tagung kamen insgesamt rund 120 TeilnehmerInnen aus dem deutschsprachigen Raum sowie RednerInnen aus Wissenschaft, Feuilleton, Verlagswelt und Literatur.

Mit Jörg Thadeusz konnte ein glänzender Rhetoriker für die Rolle des Moderators gewonnen werden. Für seine Fragen an die Gastredner bediente er sich im gewitzten Fragebogen von Max Frisch. Damit bot er unterhaltsame Vorlagen für schlagfertige Antworten, die ihm seine Gäste und das Publikum mit viel Lachen und freudigen Gesichtern dankten.

Meike Feßmann. @Sascha Nau und Petra Mattheis.

Den Auftakt machte Meike Feßmann mit einem Impulsvortrag zum Thema „Tendenzen gegenwärtigen Erzählens“. Auch wenn sie inhaltlich sehr allgemein blieb und keine Antworten gab, umriss sie zumindest den Fragenkatalog der narrativa ganz gut: Was wurde im 20. Jahrhundert als große Literatur gehandelt und gibt es das heute noch? Was wird heute überhaupt erzählt und wie? Wie verändern sich die Texte durch Digitalisierung und Demokratisierung der Publikationsstrukturen? Welche Strömungen gibt es im gegenwärtigen Erzählen, inhaltlich und ästhetisch?

Die Literaturwissenschaftlerin Bettina Soller blickte anschließend auf das Genre der Fan-Fiction – Fortführung von literarischen Vorlagen innerhalb der Fandom – und kollaborative Schreibprozesse. Wie verändern solche Formate unser Konzept der „Autorschaft“ von literarischen Texten? Damit jeder diese Frage für sich beantworten konnte, gab es zahlreiche Beispiele aus dem Internet und der Selfpublishing-Szene und hier insbesondere aus den Genres Fantasy und Sci-Fi.

Prof. Dr. Christina Schachtner. @Sascha Nau und Petra Mattheis.

Prof. Dr. Christina Schachtner gab dann den rhetorisch und inhaltlich dichtesten und überzeugendsten Vortrag. Ihr Thema lautete „Neue Narrationen. Erzählen im Zeitalter des Internets”. Sie forscht dazu, wie die medialen Bedingungen des Internet-Zeitalters schlagartige die subjektive Ich-Empfindung einer ganzen Generation an AutorInnen verändert haben. Dabei legt sie anhand ihrer Beobachtungsstudien dar, wie Interaktivität, Multimedialität und Fragmentarisierung sich in den Erzählthemen und Darstellungsformen dieser Netzgeneration niederschlagen.

Zeit für informellen Austausch in der Mittagspause. @Sascha Nau und Petra Mattheis.

Nach der Mittagspause ging es in die berstend vollen Pitching-Sessions. An der Aufregung im Saal wurde klar, dass die meisten TeilnehmerInnen auf dieses Hightlight hier hingefiebert hatten. In je 10 Minuten konnte jede ihr Buchprojekt vor einer erfahrenen Lektorin pitchen und Tipps zur Präsentation einholen. Dazu waren die Literaturagentinnen Petra Hermanns (diebuchagenten.de), Bettina Querfurth, Caterina Kirsten (copywrite), Gudrun Hebel und Dorothee Schmidt (Hille & Jung) vor Ort. Sie gaben kurzes, präzises und fundiertes Feedback auf die einzelnen Entwürfe und nebenher noch ganz allgemeine Tipps dazu, wie ein Exposé zu gestalten und einzureichen ist, worauf in bestimmten Genres geachtet wird, und wie man seine Geschichte im Überfluss des Marktes am besten positioniert.

Eine der Pitching-Sessions. @Sascha Nau und Petra Mattheis.

Den Vortrag von Dr. Hans-Joachim Backe zum Thema „Transmedia Storytelling. Das Erzählen in virtuellen Welten“ habe ich leider verpasst.

Im Anschluss widmete sich die Lektorin Lisa Kuppler dem Präsens als Erzählzeit. Mit vielen Textpassagen illustrierte sie die Möglichkeiten sowie Stärken und Schwächen des Präsens, das in der zeitgenössischen Literatur immer größere Verbreitung findet. Sie zeigte auf, wie es sich entgegen der deutschen Erzählkonvention etabliert hat, allerdings auch, wie gekonnt AutorInnen es einsetzen müssen, damit Zeitensprünge literarisch funktionieren.

Jörg Thadeusz im Gespräch mit Schriftsteller Andreas Maier. @Sascha Nau und Petra Mattheis.

Der Abschlussvortrag kam vom preisgekrönten Schriftsteller Andreas Maier, der aktuell an einer autobiografischen Roman-Serie arbeitet. Er beleuchtete sehr aufschlussreich das Verhältnis von Autobiografie und Literatur. Dazu las er einige Passagen aus seinen Büchern vor und schlüsselte auf, welche Aussagen real und welche erfunden waren. In der Ununterscheidbarkeit zwischen Wahrheit und Fiktion für uns LeserInnen wurde so wunderbar demonstriert, dass es in der Literatur weder das Primat des einen vor dem anderen gibt, noch, dass Literaten uns eine Selbstoffenbarung schuldig sind.

Am Ende schienen alle vor lauter Informationsfülle, neuer Bekanntschaften und Schreibinspiration zu pumpen. Nicht ganz unschuldig daran war sicherlich auch das herrliche Sommerwetter, das zum Ausklang bei einem Glas Sekt auf der Dachterrasse genossen wurde. Gerne mehr davon im nächsten Jahr!

Abendlicher Ausklang auf der Dachterasse des mediacampus Frankfurt. @Sascha Nau und Petra Mattheis.

Alle Vorträge als Podcast sowie begleitende Interviews mit den RednerInnen finden Sie auf der Website des Literaturcafés.

_____________________
narrativa 2017, veranstaltet von der Textmanufaktur
Ort: mediacampus Frankfurt
Zeit: 13. Mai 2017
www.narrativa.info

Zurück zum blog!